Nach 35 Jahren: Chemnitzer Vietnamesen droht die Abschiebung

Seit 1987 lebt und arbeitet der Vietnamese Pham Phi Son in der DDR bzw. der Bundesrepublik. Weil er einst bei einer Auslandsreise eine Frist überschritt, sollen er und seine Familie nun abgeschoben werden. Ein Versuch, ein Bleiberecht zu erwirken, ist gerade gescheitert.

Vietnam ist das Geburtsland von Pham Phi Son. Seine Heimat ist aber Deutschland, wo er mehr als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. Demnächst ist er aber wohl gezwungen sein, sich in Vietnam ein neues Leben aufzubauen. Im Alter von 65 Jahren. Mit seiner Frau Ngyuen Thi Quynh Hoa und ihrem fünfjährigen Kind Emilia, das in Deutschland geboren wurde und nur Deutschland kennt. Pham Phi Son und seiner Familie droht die Abschiebung. Ein wohl letzter Versuch, ihnen zum Verbleib in Deutschland zu verhelfen ist gerade am Vorsitzenden der Sächsischen Härtefallkommission gescheitert.

Pham Phi Son kam 1987 im Alter von 30 Jahren als Gastarbeiter in die DDR und blieb auch nach der Wende hier. 2011 erhielt er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Die bekommt, wer unter anderem mehr als fünf Jahre legal in Deutschland gelebt hat und als gut integriert gilt. Pham lebte in einer eigenen Wohnung und hatte die meiste Zeit Arbeit in der Gastronomie. Dann unterlief ihm ein Fehler.

Folgenreicher Vietnam-Aufenthalt

2016 reiste er nach Vietnam, um eine Kriegswunde versorgen zu lassen. Wer wie Pham eine Niederlassungserlaubnis hat und vor der Reise staatliche Unterstützungsleistungen erhielt, darf maximal für sechs Monate Deutschland verlassen. Andernfalls erlischt die Niederlassungserlaubnis. Pham blieb für neun Monate, weil die Behandlung (sie ist dokumentiert) länger dauerte und weil er seine heutige Frau kennenlernte. Er meldete das nach eigenen Angaben der deutschen Botschaft, die ihm gesagt habe, er dürfe die Sechs-Monats-Frist überschreiten, weil er schon so lange in Deutschland gelebt habe. Schriftliche Belege dafür gibt es aber nicht.

Ende 2016 kehrte Pham zurück nach Deutschland, seine Frau folgte ihm auf legalem Weg. Im Februar 2017 kam ihre gemeinsame Tochter zur Welt. Alles lief wie immer. Bis Pham für seine Tochter einen deutschen Reisepass beantragen wollte. Der Chemnitzer Ausländerbehörde fiel die Frist-Überschreitung auf. Sie entzog ihm das Aufenthaltsrecht und die Arbeitsgenehmigung. Ohne Job konnte er sich auch keine Wohnung mehr leisten. Pham klagte vor dem Verwaltungsgericht und unterlag.

Formal wohl eine richtige Entscheidung.

Sein Fall kam 2018 vor die Sächsische Härtefallkommission. Sie besteht aus neun Mitgliedern (darunter Vertreter von Behörden, der Kirche und eines Flüchtlingshilfevereins), den Vorsitz hat der Sächsische Ausländerbeauftragte und frühere Justizminister Geert Mackenroth. Das Gremium beschäftigt sich mit Betroffenen, denen das Aufenthaltsrecht juristisch verwehrt wird, persönliche und humanitäre Gründen aber für einen Verbleib in Deutschland sprechen. Die Kommission gibt eine Empfehlung, die Entscheidung fällt letzlich der Innenminister, der sich aber oft an diese Empfehlung hält. Einer von Herr Phams Unterstützern, der Leipziger Jesuitenpater Stefan Taeubner war damals guter Hoffnung: „Was sollte ein Härtefall im Ausländerrecht sein, wenn nicht dieser?“.

Härtefallkommission entscheidet gegen Pham Phi Son

Die Kommission entschied mehrheitlich gegen Pham. Warum, bleibt offen, die Entscheidungen werden nicht begründet. Womöglich spielten Herr Phams Probleme mit der deutschen Sprache eine Rolle. Gerade Vietnamesen, die erst im Erwachsenenalter nach Deutschland gereist seien, hätten aber oft Sprachprobleme, sagt die Chemnitzer Ausländerbeauftragte Etelka Kobuß. Ihnen fehlten lange Zeit Kontakte zu Deutschen; Sprachkurse waren nicht so verbreitet wie heute. Dennoch: Herr Pham versteht und spricht deutsch, das Gespräch mit ihm vor wenigen Tagen hat „Freie Presse“ auf Deutsch geführt.

Die kleine Familie tauchte nach dem Entscheid der Kommission unter aus Angst vor der Abschiebung. „Freie Presse“ machte den Fall zu Jahresbeginn öffentlich. Dann kam noch einmal Bewegung in die Angelegenheit. Die Chemnitzer Ausländerbeauftragte Kobuß erreichte, dass die Stadt Chemnitz der Familie eine Sozialwohnung zur Verfügung stellt und die fünfjährige Tochter eine Kita besuchen kann. Die Familie wird aktuell geduldet, die Frist wurde zuletzt immer wieder um einige Wochen verlängert. Kobuß stellte Unterstützungsschreiben von Kirchenvertretern und einer deutschen Familie, mit der Pham eng befreundet ist, zusammen, legte Arbeitsangebote für ihn und seine Frau bei. Ihr Ziel: Eine Neuverhandlung vor der Härtefallkommission. Darüber entscheidet allein der Vorsitzende Mackenroth. Und er lehnte vor wenigen Tagen ab.

„Es wurde kein wesentlich neuer Sachverhalt im Sinne der Vorschriften vorgetragen“, schreibt der CDU-Politiker der „Freien Presse“ auf Anfrage. Ins Detail könne er aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes nicht gehen. Er ergänzt aber: „Lassen Sie mich bei allem Mitgefühl mit der langen Vorgeschichte und der komplizierten Situation der Familie darüber hinaus darauf hinweisen, dass selbst bei einer neuerlichen Befassung der Kommission nicht sicher gewesen wäre, ob die erforderliche Mehrheit zustande gekommen wäre bzw. ob der Staatsminister des Innern im Falle eines Ersuchens diesem auch entsprochen hätte.“

Chemnitzer Ausländerbeauftragte: „Menschlich und moralisch unerträglich“

Etelka Kobuß kann das nicht nachvollziehen. Die fünfjährige Tochter besuche eine Kita, den Eltern lägen Arbeitsangebote vor, die Situation sei also sehr wohl eine andere als 2018, sagt die Chemnitzer Ausländerbeauftragte. In einer langen Stellungnahme auf ihrer Facebookseite schreibt sie unter anderem: „Ich empfinde in dem konkreten Fall die Vollziehung der Ausreisepflicht als menschlich und moralisch einfach unerträglich.“

Pham Phi Son, seine Partnerin und ihre Tochter könnten nun jederzeit abgeschoben werden. Die Behörden haben die Pässe von Frau und Kind; für Pham fehlt aktuell noch ein gültiger Pass. Ihre Koffer sind noch nicht gepackt, stehen aber in Emilias Kinderzimmer bereit. Sollte es zu einer Abschiebung kommen, habe er wohl nur ein, zwei Stunden zum Packen, hat Pham erfahren. „Ich stehe vor einem Scherbenhaufen“, sagt er.